Lebenswerte und umweltgerechte Stadtentwicklung -
Quartier interdisziplinär gedacht
08.11.2019, Hochschule Düsseldorf
Am 08.11.2019 veranstaltete das In-LUST seine erste Fachtagung. Unter dem Titel „Lebenswerte und umweltgerechte Stadtentwicklung – Quartier interdisziplinär gedacht“ beschäftigten sich etwa 100 Teilnehmende interdisziplinär mit Themen der Stadtentwicklung. Die Tagung hatte das Ziel, neue innovative Ansätze zur Thematik der lebenswerten und umweltgerechten Stadtentwicklung vorzustellen und mit dem Fachpublikum wie auch der angewandten Praxis zu diskutieren.
Begrüßung
Vortrag: Prof. Dr. Edeltraud Vomberg, Präsidentin der Hochschule Düsseldorf
Moderation: Prof. Dr. Anne van Rießen, In-LUST
Frau Prof. Dr. Edeltraud Vomberg, Präsidentin der Hochschule Düsseldorf, begrüßte die Teilnehmenden der Tagung und machte LUST auf interdisziplinäre Themen der Stadtgestaltung. In ihren Ausführungen wurde deutlich, dass In-LUST ihrer Meinung nach ein „tolles Instrument, die Lebensfragen im Quartier anzuschauen“ und „Impulse für die Zukunft zu setzen“ ist. Besonders Augenmerk legte sie auf die Partizipation - „Betroffene zu Beteiligten machen“.
In-LUST
Prof. Dr. Edeltraud Vomberg, Präsidentin der Hochschule Düsseldorf
Lebenswerte und umweltgerechte Stadtentwicklung – In-LUST stellt sich vor
Vortrag: Prof. Dr. Anne van Rießen und Prof. Dr.-Ing. Matthias Neef, In-LUST
Präsentation
Frau Prof. Anne van Rießen stellte sich und Herrn Prof. Matthias Neef als Institutsleitung vor und leitete zunächst mit wenigen organisatorischen Informationen in die Tagung ein. Prof. Neef bezog die Anwesenden durch eine Live-Online-Abfrage zu ihrem Arbeitsort, Arbeitsbereich und dem gewählten Verkehrsmittel zur Tagungsanreise ein.
Besonders interessant waren die Assoziationen, die zur lebenswerten und umweltgerechten Stadtentwicklung gesammelt und in Wortwolken dargestellt wurden.
Prof. van Rießen stellte anschließend zunächst die Geschichte des In-LUST vor. Sie erläuterte die interdisziplinäre Arbeitsweise des In-LUST und den Kanon FORSCHUNG - LEHRE - TRANSFER anhand von beispielhaften Projekten. Deutlich wurde, dass Stadtentwicklung – die lebenswerte und umweltgerechte Aspekte berücksichtigt – die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen bedarf.
Keynote-Vortrag: Die Eigenlogik von Städten und ihr Einfluss auf die Lebensqualität der Bewohner_innen
Vortrag: Prof. Dr. Martina Löw, Technische Universität Berlin, Fakultät VI: Planen Bauen Umwelt Institut für Soziologie
Moderation: Prof. Dr. Anne van Rießen, In-LUST
Frau Prof. Löw leitete Ihren Vortrag mit mehreren spannenden Fragen ein: „Sehen wir Personen anders, weil die aus einer bestimmten Stadt kommen?“, „Wirkt jeder schöner neben einem Strauß Rosen?“. Ihre Forschungen zum Thema Eigenlogik von Städten ermitteln, was selbstverständliches Wissen in einer Stadt ist und was in einer Stadt „einfach Sinn macht“. Welche „eingefleischten Wertsichten und Routinen“ gibt es, was wird als zu lösende Aufgabe definiert, welche Grundhaltung besteht? Auf welche Art und Weise werden Probleme gesehen und welche Handlungsstrategien und welches Leiden am Problem hängen damit zusammen? Als Quelle für Ihre Forschung zieht sie unter anderem Kriminalromane mit lokalem Bezug und Befragungen von Personengruppen wie Friseur_innen heran. Dieser interdisziplinäre Ansatz und die Befragungen von Bewohner_innen stellen Parallelen zu In‑LUST dar. Laut Frau Löw schaffen prägnante Gebäude Identifikationsmöglichkeiten. Ihrer Meinung nach sollten sich Städte damit auseinandersetzen, was ihre Leitsätze sind. Sie sollten Identifikationsangebote schaffen und somit auch die Lebensqualität erhöhen. Prof. Löw schlägt vor, die übliche Messung von Lebensqualität um Eigenlogiken, Routinen und Emotionen zu erweitern, um somit eine lokalspezifische Einbettung und Bewertung zu ermöglichen, denn „Städte und Menschen ticken unterschiedlich“.
Keynote-Vortrag: Die Transformation der Stadt als urbane Zukunftskunst
Vortrag: Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
Moderation: Prof. Dr. Anne van Rießen, In-LUST
Prof. Uwe Schneidewind fühlt sich „beschenkt“, in diese Zeit hereingeboren zu sein, in der die Menschheit erstmals die Chance hat, allen Menschen auf der Erde ein lebenswertes Leben zu ermöglichen und daran mitwirken zu können. Seine Forschung der „großen Transformation“ verwendet den Begriff „Zukunftskunst“, einen unaufgeladenen, neuen Begriff, der Gestaltung von Gesellschaft und Urbanität beinhaltet, um eine positive Haltung in den Klimaschutz-Diskurs einzubringen. „Zukunftskunst“ hat verschiedene Dimensionen: technologisch – ökonomisch – kulturell – institutionell. Die Umsetzung technologisch komplexer Systeme hängt von der Verankerung in der Gesellschaft ab.
Prof. Schneidewind nennt vier Schlüsselfaktoren für die urbane Transformation:
Eigenart – vergleichbar mit der zuvor thematisierten Eigenlogik von Frau Prof. Dr. Martina Löw – bedeutet, dass der Klimaschutz in den Städten eine Heimat bekommen müsse. Klimaschutz in Düsseldorf müsse eine „Düsseldorfer Eigenlogik“ haben, mit der sich die Bürger_innen identifizieren können.
Mobilisierende Zielbilder – es müssen Bilder geschaffen werden, die Mobilisierungskraft haben anstatt trockene Zielzahlen.
Vernetzte Experimentierräume – Möglichkeiten sichtbar machen und Begeisterung dafür schaffen.
Kreative Allianzen – Veränderungen unterschiedlicher Bereich müssten zusammengebracht werden.
Prof. Schneidewind schließt mit der Aussage „Mit Experimentierfreudigkeit lässt sich draußen etwas bewegen“. Er fordert dazu auf, Städte als Experimentierräume zu nutzen. Auf eine Rückfrage zur Einbeziehung sozial „schwächerer“ Bürger_innen an der Transformation hin erläutert er, dass der CO2-Rucksack einkommensabhängig sei und somit auch die Einkommensstarken die größeren Einsparpotentiale besäßen. Randgruppen würden immer wieder vorgeschoben, um Klimaschutzmaßnahmen im eigenen Interesse aufzuhalten.
Posterausstellung
In den Pausen hatten die Teilnehmenden zudem Gelegenheit, sich bei der Posterausstellung über In‑LUST, Projekte und Promotionsvorhaben zu informieren.
Inter- und transdisziplinär
Eine interdisziplinäre Annäherung an den Begriff lebenswert
Eine interdisziplinäre Annäherung an den Begriff umweltgerecht
LUST Düsseldorf Rath Unterrath
Fahrräder am Campus
Quartierskonzept und Quartiersmanagement am Wartsberg in Kempen
Musterhaus am Wartsberg in Kempen
Quartierskonzept und Sanierungsmanagement Heißen-Süd, Stadt Mülheim an der Ruhr
Beratung zur gesamtstädtischen Quartiersentwicklung
Studentisches Wohnen in Rath Interdisziplinärer Entwurf
Städtebauliche Entwicklung des ehemaligen Campus Golzheim
Tagungskommentar
Vortrag: Prof. Dr. Reinhold Knopp
Moderation: Prof. Dr. Anne van Rießen, In-LUST
Nicht nur ich, sondern auch das gesamte Team von In LUST haben uns sehr gefreut, dass unsere Präsidentin Prof. Dr. Vomberg zur Eröffnung ein Grußwort gehalten hat. Und das umso mehr, weil sie den Ansatz von In LUST, interdisziplinär zu arbeiten, in ihrem Beitrag so deutlich unterstützt hat. Genau hingehört habe ich, als sie dabei, bezogen auf Praxis- und Forschungsprojekte, den Aspekt der Partizipation „im Feld“ hervorgehoben hat. Dies ist unser Ansatz, der auch Ressourcen kostet und da werden wir sicherlich noch einmal auf die Präsidentin zukommen.
Liebe Teilnehmer_innen an unserer Tagung, Sie haben einen kurzen, aber auch sehr informativen Überblick über das In‑LUST Institut bekommen, Sie konnten sich durch die Posterausstellung über unsere Projekte informieren und es gibt ja auch die Einladung unsere Internetseiten zu besuchen, auf denen noch viel mehr zu finden ist.
Die Tagung hat in meiner Gesamtschau zwei wichtige Ergebnisse erbracht: Zum einen haben wir Ihnen - auch über die Panels - Einblick in die Themen von In-LUST vermitteln können, zum anderen haben wir durch Ihre Mitwirkung unseren Blick geweitet und neue wichtige Hinweise bekommen. Dafür ein Dank an Sie und für das Ergebnis, dass wir mit der Tagung erreicht haben, ein Dank an das Organisationsteam!
Wir haben zwei tolle Vorträge gehört, die uns alle schon alleine wegen der Präsentationen und der Art des jeweiligen Vortragens in den Bann genommen haben. Auch die sparsame Zahl der Charts in den Präsentationen haben gutgetan. Aber besonders wertvoll waren diese Vorträge, weil beide ein Angebot zur Einnahme von neuen Perspektiven, „die Dinge zu betrachten“, zum Inhalt hatten und damit sehr zum Nachdenken anregten.
Martina Löw hat die Eigenlogik der Städte und die Wechselwirkungen zwischen der Besonderheit der Städte und den Menschen, die in ihnen leben, u. a. an dem Vergleich von Bremerhaven und Rostock sehr eindrucksvoll dargestellt. Ihre zum Teil ethnografischen Forschungsmethoden, aber auch die Tatsache, wer interviewt wurde (Haarschneidehandwerker_innen) und welche Dokumente ausgewertet wurden (Krimis mit Lokalbezug), haben gezeigt, dass qualitative Forschung sehr spannend sein kann. Der Slogan von Mannheim mit „dem Weinen bei der Ankunft und bei der Abfahrt“ bleibt uns sicherlich ebenso in Erinnerung wie der Spruch zum Rausfliegen aus bzw. in Berlin, wozu kein Flughafen benötigt wird. Die Perspektive der Eigenlogik von Städten wurde von ihr quasi „bebildert“.
Wir hier in Düsseldorf können fast ein bisschen froh sein, dass Martina Löw noch nicht zu den Unterschieden von Köln und Düsseldorf geforscht hat, zumal bei Krimis Düsseldorf im Unterschied zu Köln meiner Wahrnehmung nach nur als Kulisse daherkommt.
Sehr positiv finde ich, dass Martina Löw die üblichen Kriterien für Lebensqualität in den Städten, also z. B. Gesundheitsversorgung und Umweltbelastung nicht grundsätzlich verworfen hat, sondern dass sie aufforderte, Aspekte der Eigenlogik wie „Routinen, Emotionen, Rhythmen“ bei der Betrachtung hinzuzuziehen. Und dieses Hinzuziehen und damit die Perspektive zu erweitern, finde ich einen sehr spannenden Ansatz.
Der Einwand aus dem Plenum, dass auch die Quartiere in Städten zu betrachten sind, ist aus meiner Sicht wichtig und hier kommen wir schnell von der Raumsoziologie zur Stadtsoziologie, in der die Betrachtung mehr darauf liegt, wie es dort baulich und von der Aufenthaltsqualität her aussieht, wer dort in welcher sozialen Lage und mit welchem kulturellen Hintergrund lebt, wie die Ausstattung und Versorgung vor Ort ist und wie Nachbarschafts-beziehungen dort aussehen. Darauf ist Martina Löw u.a. mit dem Hinweis eingegangen, dass im Hinblick auf die Erfassung von Lebensqualität in Wohnquartieren ja bereits viele Aktivitäten unternommen worden sind. Ihr in diesem Zusammenhang erfolgtes Plädoyer, die Eigenlogik der jeweiligen Städte als neuen Ansatz stärker in den Blick zu nehmen, kann auch dazu anregen, Eigenlogik bezogen auf die Quartiere mit ihrer Geschichte und ihrem Wandel zu betrachten.
Herr Schneidewind hat in großer Zustimmung zum Vortrag von Martina Löw quasi eine Laudatio auf diesen und auf die Vortragende selbst gehalten. Dies machte er in sehr eindringlicher Weise aber auch mit einem Tempo, das ihm noch ausreichend Zeit gelassen hat, seinen Ansatz und die Bezüge zum ersten Vortrag darzustellen – zum Beispiel über die Begriffe „Eigenart“ und „Eigenlogik“.
Beide Vorträge haben auf ihre Art die Besonderheit der subjektiven oder auch kulturellen Perspektive gegenüber der materiellen hervorgehoben. Dies als Ergänzung zu sozialstatistischen Daten und Erfassung von Bau- und Mobilitätsstrukturen zu nehmen, ist für eine ganzheitliche Betrachtung sehr wertvoll und auch in den In LUST Projekten kommt der qualitativen Forschung in Form von Interviews ein großer Stellenwert zu. Die richtige Balance zwischen „kulturellem Überbau“ und „materieller Basis“ zu finden stellt eine große Herausforderung für Praxis- und Forschungsprojekte dar.
Bei Uwe Schneidewind ist es die kulturelle Dimension, der er beim Werben für das Thema „Zukunft“ eine Bedeutung zumisst. Und dazu nutzt er auch die sprachliche Ebene: Der Begriff der Zukunftskunst kann im wahrsten Sinne des Wortes eine Zukunft haben, wenn wir ihn aufgreifen und nutzen. Allerdings muss dafür in ähnlicher Weise geworben werden, wie dies in seinem Vortrag geschah, damit der noch nicht so präsente Begriff Zukunftskunst auch für eine lustvolle und lebendige Auseinandersetzung eingeführt und genutzt werden kann.
Mit der Verknüpfung der vier Dimensionen Eigenart – Zielbilder (statt Zahlen) – Kreative Allianzen und vernetzte Experimentierräume bietet Uwe Schneidewind Anregungen. Die Aussage, „dem Klimaschutz eine Heimat zu geben“ ist bestimmt vielen im Gedächtnis geblieben und sorgt für ein Nachdenken, wie dies lokal umgesetzt werden kann.
An dieser Stelle käme der Bericht aus den Arbeitsgruppen, aber bei sieben Panels kann ich nur kurz und unvollständig über die Ergebnisse berichten, zumal die Diskussionen in der ersten Runde wohl so spannend waren, dass alle Gruppen die Zeit überzogen haben und mir wenig Möglichkeit der Rückfrage gegeben war. Nun ist das auch eine Information, denn es zeugt von Interesse an den Themen. Eine Bemerkung dazu erlaube ich mir trotzdem: So wurde aus mehreren Gruppen kurz berichtet, dass die Art und Weise und der Zeitpunkt von Information und insbesondere von Beteiligung in den Diskussionen bedeutsam war. Wir nehmen hier wichtige Hinweise für die weitere Arbeit in den In LUST Projekten mit. Mehr dazu ist in der Dokumentation der Panels zu finden.
So bleibt mir zum Schluss noch einmal mit Bezug auf die beiden einleitenden Vorträge eine Anmerkung aus der Perspektive des Sozialen, wozu ja auch Fragen und Statements aus dem Plenum gekommen sind. Wenn Martina Löw mit Unterscheidung zu Mannheim den Slogan vorstellt „München liebt Dich“, dann muss man diesen leider ergänzen mit „aber Du Münchner_in kannst diese Liebe immer weniger erwidern, weil die Mieten für Dich zu teuer geworden sind. Und diese Entwicklung ist nicht vom Himmel gefallen, sondern Ergebnis einer an Markt und Profit orientierten Politik" – Wien zeigt, dass das auch anders gegangen wäre.
Interdisziplinär Denken und Arbeiten muss das Soziale immer einschließen: So hat Paris es weitgehend geschafft, die Innenstadtbereiche autofrei zu machen, aber leider auch frei von der ursprünglichen Bewohnerschaft. Eine autofreie Stadt für Touristen kann nicht das Ziel einer ökologisch orientierten Politik sein.
Abschließend sollen noch einmal die von Uwe Schneidewind vorgestellten gegensätzlichen Perspektiven auf Zukunft in den Blick genommen werden. Also, ob wir geboren worden sind in eine düstere, dystopische Zeit oder in eine – wie er es nennt - geile Zeit, in der es die technischen Möglichkeiten gibt bzw. immer mehr geben wird, eine humane Zukunft für die gesamte Erdbewohnerschaft zu schaffen. Damit rückt das Soziale erneut in den Blickpunkt und zwar im Kontext von Macht und Herrschaft. Nicht ein auf Profitmaximierung basierender Markt, der auf Privatbesitz an Grundstoffen und Produktionsmitteln gründet, wird in die positive Variante der Zukunft führen. Nur eine am Gemeinwohl und globalen Ausgleich orientierte demokratische Politik kann uns eine solche Zukunft ermöglichen. Eine solche solidarische und partizipatorische Politik würde auch die Basis für mehr Menschen bieten, die eigenen, partiellen Interessen mit einem gemeinschaftlichen Interesse an einer Zukunft zu verbinden, die auf achtsamen Umgang mit den Ressourcen gründet.